Anfragen zum halben Preis: Wie Corona die Sexarbeit in Deutschland verandert

Anfragen zum halben Preis: Wie Corona die Sexarbeit in Deutschland verandert

Sexarbeiter*innen sind wahrend der Pandemie besonders schlecht geschutzt. Eine Escort erzahlt, wie sich ihr Arbeitsalltag und die Branche verandern.

Vor einem Monat fand ich es noch lustig, mit Kund*innen auf Corona anzusto?en, wenn wir nicht mehr wussten, wer aus welchem Glas getrunken hat. Es ist ja nur eine etwas starkere Grippe, dachten wir.

Vorletzte Woche habe ich mein Escort-Profil bearbeitet und Menschen mit Symptomen gebeten, zu Hause zu bleiben. Die anderen habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich weiterhin – mit viruzidem Desinfektionsmittel in der Tasche – arbeite und Sex von hinten das Ding der Stunde sei.

Safer Sex, desinfizierte Strap-ons und Toys sind ohnehin Standard und sowas wie Zungenkusse habe ich noch nie angeboten. Meine Kund*innen waren schon ab diesem Zeitpunkt vernunftiger als ich, haben geplante Treffen abgesagt und eine meiner Lieblingskund*innen hat mich mit einer netten Mail darauf aufmerksam gemacht, wie unverantwortlich ich sei. Fair enough.

Es ist einfach, Menschen Unverantwortlichkeit vorzuwerfen, wenn man selbst Rucklagen hat oder Gewissheit uber staatliche Ausfallzahlungen – selbst ich gehore da noch zu den Privilegierten. Ich habe keine Familie, die auf meinen Verdienst angewiesen ist, dafur eine Krankenversicherung und Freund*innen, von denen ich mir Geld leihen kann. Mit einem Arsch voll Schulden werde ich schon irgendwie durchkommen.

Vielen Sexarbeitenden droht die Obdachlosigkeit

Wenn ich mich aber in meinem sexarbeitenden Umfeld so umhore, klingen viele Kolleg*innen weniger optimistisch. Am meisten Panik lese ich in den Nachrichten, Tweets und SMS von denen, die normalerweise in den Prostitutionsstatten wohnen, in denen sie arbeiten. Die zusatzlich zum biracial und Single-Dating-Seite fehlendem Einkommen versuchen mussen, jetzt irgendwo anders unterzukommen. Mit der Corona-bedingten Schlie?ung der Bordelle und Laufhauser droht ihnen die Obdachlosigkeit.

Auch der Vorschlag, wie viele andere Gewerbe auf Home-Office umzusteigen und Adult Content im Internet anzubieten ist fur uns Sexarbeiter*innen nicht so einfach. Neben nicht immer vorhandener Hardware ist digitales Bezahlen fur sexuelle Dienstleistungen ziemlich kompliziert: PayPal und andere Online-Bezahldienste verbietet in ihren AGB explizit „Transaktionen bezuglich bestimmten sexuell orientierten Materialien oder Diensten“ – was oft dazu fuhrt, dass volle Konten von Sexarbeitenden auf unbestimmte Zeit eingefroren werden.

Bei einem so stigmatisierten Beruf gebe ich meine Kontodaten inklusive Klarnamen nicht an unbekannte Internet-Kund*innen heraus – genauso wie ich mich in den entsprechenden Camgirl-Portalen nicht mit meinem Ausweis registrieren mochte. Das musste ich schon 2017, als in Deutschland das umstrittene Prostituiertenschutzgesetz in Kraft trat, was Sexarbeitende eigentlich starker schutzen sollte. Seitdem mussen wir uns bei Amtern anmelden, und bei der Arbeit einen sogenannten „Hurenausweis“ bei uns tragen.

Ich fand das schon damals unnotig riskant. Warum sollte ich jetzt meine Anonymitat mit einer elektronischen Identifikation auf Portalen wie „streamate“, „my dirty hobby“ oder „adultwork“ noch mehr in Gefahr bringen? Ich habe noch einen anderen Job und ein Gro?teil meines beruflichen und privaten Umfeldes wei? nichts von meiner Arbeit als Escort. Angesichts des Stigmas, das dieser Job leider noch immer mit sich tragt, soll das auch genau so bleiben.

Bei der riesigen Auswahl an kostenlosen Online-Angeboten lassen sich Umsatzeinbu?en nicht so schnell ausgleichen, wenn eine*r sich auf den entsprechenden Portalen wie bei jeder neuen Stelle erst ein- und hocharbeiten muss. Der Reiz der sexuellen Dienstleistungen, die ich anbiete, liegt eher darin, dass Kund*innen beruhrt und dominiert werden, als dass mein Korper im Mittelpunkt steht. Da kann ich nicht eben mal mein Sofa abstauben und mir vor laufender Kamera die Klitoris reiben.

Keine staatlichen Zuschusse

Wenn es in Deutschland eine noch strengere Kontaktsperre geben sollte, wird es fur die, die jetzt noch auf Stra?enstrich und Wohnungsprostitution angewiesen sind, unmoglich, Geld zu verdienen. Neben den bereits laufenden Spendenkampagnen hoffe ich auf Verbande wie den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V., der sich gerade fur unburokratische Ausgleichszahlungen fur Sexarbeitende einsetzt – auch fur solche ohne festen Wohnsitz und Steuernummer. Immerhin, die ausschlie?lich in dieser Branche geforderten taglichen Pauschalvorauszahlungen von Steuern werden zur Zeit auf Nachfrage ausgesetzt.

Obwohl der Berufsverband und andere Vereine schon seit Jahren hervorragende Arbeit leisten, werden sie viel zu wenig in Gesetzgebungsprozesse mit einbezogen und ihre Legitimitat als Interessensvertretung von Sexarbeiter*innen wird immer wieder grundlos angezweifelt. Stattdessen hat der Bundestag absurde „Rettungsprogramme“ wie das genannte Prostituiertenschutzgesetz ausgearbeitet, die mehr schaden als nutzen.

Notwendige Schritte zur Verbesserung unserer Arbeits- und Lebensbedingungen werden vernachlassigt. Zum Beispiel ware es in der jetzigen Situation enorm hilfreich gewesen, wenn Programme zur Anerkennung von Sexarbeit als legitime Form von Arbeit schon seit Jahren laufen wurden und wir jetzt – wie alle anderen Solo-Selbstandigen auch – problemlos und unburokratisch staatliche Zuschusse beantragen konnten.

Corona scheint einmal mehr die Tendenz zu beweisen, dass Menschen, die von einer Krise besonders hart getroffen werden, am wenigsten Hilfe bekommen – egal ob es sich um Menschen in Fluchtlingsunterkunften, auf der Stra?e, in der Sexarbeit oder in anderen marginalisierten Bereichen handelt. Viele Sexarbeiter*innen sind zudem Migrant*innen, teilweise nicht EU-Burger*innen. Sie trifft die fehlende staatliche Unterstutzung doppelt hart.

Das uralte Bild von Sexarbeiter*innen als Ubertrager*innen von Seuchen schlechthin

Zum Beispiel ist es bezeichnend, dass Politiker*innen wie die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier fur die Einfuhrung eines Sexkaufverbots in Deutschland pladieren, das unsere Kund*innen kriminalisieren will: das sogenannte schwedische Modell. In der derzeitigen Lage waren die Kund*innen aber fast die einzigen, die uns finanziell unterstutzt haben. Spendenkampagnen fur Bordelle und Sexarbeitende wurden gerade besonders unter unseren Kund*innen auf Social Media geteilt und viele Stammkund*innen haben gespendet oder Gutscheine gekauft, weil sie wollen, dass wir gut durch die Krise kommen.

Wenn es Breymaier wirklich um den sexarbeitenden Teil der Bevolkerung gehen wurde, hatte sie auf die Dringlichkeit hingewiesen, uns in dieser Lage zu unterstutzen – anstatt sich uber Corona als Testphase fur das Sexkaufverbot zu freuen. Auf Twitter schrieb die Abgeordnete vor einigen Tagen: „Stuttgart verbietet #Prostitution wegen #Corona. Geht doch. Man(n) kann ja schon mal uben.“ In diesem Sinne ist auch die „Allgemeinverfugung der Stadt Karlsruhe uber das Verbot der Prostitution zur Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus“ zu verstehen, die bis auf Widerruf „Prostitution und Sexkauf jeder Art“ verbietet; eine zeitlich unbegrenzte Sonderverfugung, die unabhangig von den bundesweiten Landesverordnungen gilt.

Ich will die Infektionsschutzma?nahmen nicht in Frage stellen oder die Gefahren der Pandemie verharmlosen. Aber ich finde es auffallig, dass in Stuttgart „jede Art von Prostitution“ untersagt wurde, noch einige Tage bevor Standesamter, Kindertagesstatten, Schulen und Fitnessstudios dicht gemacht wurden. In dieser Reihenfolge scheint mir doch zu sehr das uralte Bild von Sexarbeiter*innen als die Ubertrager*innen von Seuchen und Epidemien schlechthin durch. Die Ansteckung, die von ‘kranken Sexarbeiter*innen’ ausgeht und fur die ‘gesunde Bevolkerung’ eine Gefahr darstellt, wurde in der Geschichte der Prostitution immer wieder zur Legitimierung repressiver Ma?nahmen gegenuber Sexarbeitenden genutzt.

Treffen zum halben Preis

Im 19. Jahrhundert sollten mit den „Contagious Diseases Acts“ in Gro?britannien Krankheiten innerhalb des Militars bekampft werden, Sexarbeiter*innen konnten deshalb verhaftet und zwangsbehandelt werden. Noch in den 80er Jahren waren regelma?ige gynakologische Pflichtuntersuchungen ublich. Und seit 2017 mussen wir wieder jahrlich zum Gesundheitsamt, und dort eine Zwangsberatung in Anspruch nehmen.

Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was mit der Branche passieren konnte, wenn das Kaufen von sexuelle Dienstleistungen dauerhaft in illegale Grauzonen gedrangt wurde, bekomme ich seit drei Wochen vermehrt in mein Escort-Postfach: Keine Anfragen, die irgendwie in Frage kommen wurden, stattdessen Personen, die Treffen zum halben Preis wegen Corona vorschlagen oder zusatzliche Services verlangen, die ich explizit nicht anbiete, aufdringliche Fragen; offensichtlich hat sich niemand von den Absendern mein Profil wirklich durchgelesen.

Ich schatze, das sind die Kund*innen, die ubrig bleiben wurden, wenn Sexkauf dauerhaft verboten und der Ausnahmezustand zur Normalitat wurde. In diesem Sinne hoffe ich auf eine Zukunft ohne Corona und ohne Illegalisierung von Sexarbeit.

Noah Name ist das Pseudonym unserer Autorin. Sie arbeitet seit zwei Jahren tagsuber fur eine NGO und nachts als queere Sexarbeiterin. Sie lebt in Berlin und twittert unter @travellingpussy. Zur Zeit arbeitet sie aus dem Homeoffice.

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